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October 17, 2017 by Rudolf Strahm
Kolumne in Tages-Anzeiger und Bund vom 17. 10.2017.
Die Berufsweltmeisterschaften sind der ultimative Qualitätstest für die internationale
Konkurrenzfähigkeit der Schweizer Wirtschaft.
Wenn Sie diese Kolumne lesen, schwitzen 38 junge Berufsleute aus der Schweiz in
klimatisierten Expo-Hallen der Wüstenstadt Abu Dhabi um die Weltmeistertitel in ihrem
erlernten Beruf. Und der Schreibende ist als Beobachter wohl gerade dabei, sich in den
gigantischen Messehallen am Persischen Golf zurechtzufinden.
Die Berufsweltmeisterschaften «World Skills Competitions» finden alle zwei Jahre statt. Sie
sind der ultimative Qualitätstest für unser Berufsbildungssystem, ja viel mehr, für die
internationale Konkurrenz- und Innovationsfähigkeit der Wirtschaft.
Die 11 Frauen und 27 Männer messen sich mit rund 1300 Mitbewerbern aus 71 Ländern in
einer anspruchsvollen berufsbezogenen Projektaufgabe. Jeder Teilnehmende muss in vier
Tagen selbstständig ein oder mehrere Leistungsprogramme erfüllen, etwa eine elektrische
Schaltzentrale für ein Gebäude erstellen, eine Maschinenkonstruktion nach digitalem Plan
ausführen, eine IT-Software entwickeln und anwenden oder ein Viersternmenü zubereiten.
Schweizer immer an der Spitze
Jeder Beruf muss sich einer internationalen Jury von Topspezialisten aus dem betreffenden
Berufsfeld stellen. Auch Dutzende von Schweizer Verbandsexperten sind dabei. Das ermöglicht
einen weltweit einzigartigen Vergleich von Berufen bezüglich Präzision, Exaktheit, Innovation,
aber auch in Bezug auf Marktorientierung und Termintreue. Wer es bei den «World Skills» an
die Spitze schafft, hat in den internationalen Fachkreisen eine hohe Reputation.
Schweizer Berufsleute figurieren traditionsgemäss in den Spitzenrängen. Seit Jahren sind die
Schweizer die Europameister. In acht von zehn Berufsweltmeisterschaften figurierten sie unter
den ersten drei auf der Weltrangliste. Dank der dualen Lehre bringen die Schweizer eine
betriebliche Praxiserfahrung mit, die ihnen im Härtetest einen Vorsprung verschafft.
Die Schweizer Delegationsleiterin Christine Davatz, Vizedirektorin beim Gewerbeverband,
strebt in Abu Dhabi erneut eine Gesamtrangierung der Schweizer Berufsleute unter den ersten
drei Rängen an. Die Resultate kennen wir erst Ende dieser Woche.
Von der Lehre profitiert das ganze Land
Weltweit kennen nur einige wenige europäische Länder ein echt duales Berufsbildungssystem,
also eine Kombination von betrieblicher Lehre mit staatlicher Berufsfachschule. Es sind dies die
Schweiz, Liechtenstein, Deutschland und Österreich, weniger stark ausgeprägt auch Holland
und Dänemark. In den meisten andern Ländern «erlernt» man Elektromonteur, Konstrukteur
oder gar Koch im Hörsaal in vollschulischen Bildungsgängen, bestenfalls angereichert mit
Praxisateliers in der Schule.
Das duale Berufsbildungssystem macht die Jugendlichen viel besser arbeitsmarktfähig als die
vollschulischen und akademischen Bildungsgänge. Die Schweiz und die deutschsprachigen
Länder haben in Westeuropa die tiefste Jugendarbeitslosigkeit. In Frankreich, Spanien,
Portugal, Italien, die keine Berufslehre, aber hohe Maturitäts- und Akademisierungsquoten
kennen, herrscht die höchste Jugendarbeitslosigkeit. In der gesamten EU findet fast jeder vierte
Jugendliche keine Arbeit. Viele Länder stecken in der Akademisierungsfalle.
Die erwähnten Länder mit dualer Berufslehre sind trotz ihrer hohen Löhne und Preise auch die
konkurrenzfähigsten Exportnationen des Kontinents. Sie produzieren vorwiegend Spezialitäten,
Hochtechnologie- und Nischenprodukte für den Export statt billige Massenkonsumgüter, die von
den Asiaten besser und billiger exportiert werden.
Schon 16-jährige Lehrlinge müssen «Soft Skills» beherrschen.
Die arbeitsmarktpolitische und wirtschaftliche Überlegenheit der dualen Berufsbildung basiert
darauf, dass sie während der Lehre die praktische Intelligenz fördert. Darunter versteht man die
Fähigkeit, das theoretische Fachwissen auch anwenden zu können. Diese trainiert man nicht im
Schulzimmer, sondern in der Werkstätte, im Labor, in der Hotelküche, im Atelier oder am
Kundenschalter.
Was aber oft unterschätzt wird, ist folgendes Plus für die persönliche Karriere: Zusätzlich zum
Fachwissen und zu den praktischen Fertigkeiten spielen in der Lehre auch Eigenschaften wie
Exaktheit, Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein oder Teamfähigkeit eine Schlüsselrolle.
«Soft Skills» oder «Schlüsselkompetenzen» nennen wir sie in der Berufsbildungsszene. Schon
16-jährige Lehrlinge müssen sie beherrschen, wenn sie sich in die betriebliche Berufskultur
integrieren wollen. Ich denke, die Schweiz funktioniert deshalb so gut und ist international
deshalb so attraktiv, weil viele Arbeitnehmende in vielen Leistungsbereichen gerade solche
Schlüsselkompetenzen in ihrem Beruf täglich zur Geltung bringen.
Die Schweiz und die anderen Berufsbildungsländer Europas haben auch die bessere
Ausgangslage, die digitale Revolution in Richtung Industrie 4.0 zu bewältigen. Denn
Digitalisierung ist nur marktfähig und lässt sich nur dann industriell bewältigen, wenn sie mit
den bisherigen Techniken vernetzt ist. Industrieautomaten, Prototypen und digitalisierte Roboter
müssen nämlich konstruiert, gebaut, vernetzt, gewartet und technisch ständig weiterentwickelt
werden. Viele Schreiber übersehen in nebulöser Schwarzmalerei der Digitalisierung, welche
Chancen diese technologisch-digitalen Verbundkompetenzen der Schweiz bringen.
Der Bundesrat hat sich abgemeldet
Am publizistisch aufgemotzten Silicon Valley darf man sich als Industrieland nicht orientieren.
Das Silicon Valley blüht in den USA als Technologieinsel. Aber die USA insgesamt zeigen sich
mit ihrer Vernachlässigung der technischen Fachausbildung als abschreckendes
Wirtschaftsmodell mit einer Industrie, die zugrunde geht, und schwindender
Konkurrenzfähigkeit. Es fehlt dort die «Skilled Workforce».
Strukturwandel und technologische Revolutionen machen die Berufslehre nicht überflüssig,
aber die Weiterbildungskultur wird in Zukunft noch stärker herausgefordert. Absolventen einer
Berufslehre wissen, dass man sich in der Schweiz die Berufskarriere über den Weg der
Berufsmaturität plus Fachhochschule oder über die höhere Berufsbildung sichert. Unser
durchlässiges System funktioniert nach dem Prinzip der Anerkennung von Vorleistungen: kein
Abschluss ohne Anschluss.
Im Jahr 2021 hätten die übernächsten «World Skills» in Basel stattfinden sollen. Ein ganzes
Team hatte intensiv an den Vorbereitungen gearbeitet. Bundesrat Johann Schneider-Ammann
(FDP) beantragte dem Bundesrat im vergangenen Juni dafür einen Bundesbeitrag von 30
Millionen Franken – den andern Teil hätten die Stadt Basel und private Sponsoren finanziert.
Doch der Gesamtbundesrat lehnte diesen Beitrag ab.
Die ganze Vorstellung wäre eine exzellente Präsentation für die Schweizer Präzisionskultur
gewesen. Denn mehr und mehr Regierungen betrachten die Berufsbildung als Gradmesser für
Innovation und Konkurrenzfähigkeit. Nach dem Bundesrats-Nein musste die Schweiz ihre
Kandidatur zurückziehen. Nun werden die «World Skills» 2021 in Shanghai stattfinden.
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